Priester Mussie Zerai rettete vielen Flüchtlingen das Leben – jetzt wurde er für den «Prix Courage» nominiert. Bis zu 400 Mal pro Woche klingelt das Telefon des Priesters. von Fabio Baranzini
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Seit 1997 verleiht das Magazin «Beobachter» den «Prix Courage». Ausgezeichnet werden mutige Menschen, die sich für andere einsetzen. Unter den sechs Nominierten ist in diesem Jahr Mussie Zerai. Der 40-jährige Eritreer arbeitet seit vier Jahren als katholischer Priester in Erlinsbach und betreut im Auftrag von Rom die Eritreer und Äthiopier in der Schweiz.
Diese Tatsache allein verhalf Zerai jedoch nicht zur Nomination, sondern sein humanitäres Engagement. Zerai, der im Alter von 16 Jahren aus Eritrea nach Italien geflohen und dort die Ausbildung zum Priester absolviert hat, rettet Flüchtlingen das Leben, die über das Mittelmeer nach Europa gelangen wollen. Und zwar von Erlinsbach aus. Seine Telefonnummer, die er vor gut zehn Jahren seiner Grossmutter in Eritrea gegeben hatte, wird unter den Flüchtlingen ausgetauscht.
Sie ist eingeritzt in Gefängniswänden in Libyen und im Sudan, sowie in den Booten, welche die Flüchtlinge übers Mittelmeer bringen sollen. Geraten die Flüchtlinge in Seenot, rufen sie Mussie Zerai an. Er ist ihr letzter Rettungsanker, denn Zerai hat gute Kontakte zur Küstenwache in Italien und Malta und kann diesen die Koordinaten der Flüchtlinge angeben, die auf dem offenen Meer um ihr Leben kämpfen. Auf diese Weise hat Mussie Zerai schon viele Menschen gerettet.
Gelernt, die Balance zu finden
Bis zu 400 Mal pro Woche klingelt das Telefon des Priesters. Längst nicht alle, die ihn anrufen, sind in Seenot geraten. Aber Probleme haben sie alle. Und alle hoffen auf die Hilfe von Mussie Zerai. Wird ihm das nie zu viel? Braucht er nicht auch mal Abstand?
«Doch, ich brauche auch Zeit für mich. Die Arbeit ist sehr belastend, denn die Schicksale der Menschen, die mich anrufen, beschäftigen mich sehr. Das war vor allem zu Beginn ein grosser Stress», sagt Zerai. «Inzwischen habe ich gelernt, die Balance zu finden und nehme mir jeden Montag frei. Dann beantworte ich keine Anrufe, ausser sie kommen von einem Sattelitentelefon, denn dann rufen mich Flüchtlinge an, die in Seenot geraten sind.»
Die Nomination für den «Prix Courage» ist für Mussie Zerai eine Bestätigung, eine Wertschätzung für seine Arbeit. «Es ist eine moralische Unterstützung für mich und gibt mir zusätzliche Kraft, mit den Schicksalen der Flüchtlinge umzugehen und ihnen zu helfen.» Nach seiner Nomination hat Zerai viele Gratulationen und Glückwünsche erhalten.
Menschen sensibilisieren
Und er macht auch keinen Hehl daraus, dass er sich durch die Nomination positive Auswirkungen auf seine Arbeit erhofft. «Dieser Preis ist eine Gelegenheit, die Menschen zu sensibilisieren und ihr Bewusstsein für diese Problematik zu schärfen. Und vielleicht regt meine Geschichte ja auch einige an, selber aktiv zu werden. Es braucht nicht viel, um zu helfen. Oftmals reichen auch kleine, alltägliche Dinge», so Zerai.
Nicht freiwillig auf der Flucht
Dass die Flüchtlingsthematik derzeit ein medialer Dauerbrenner ist, spielt Zerai durchaus in die Karten. «Obwohl ich selber die Öffentlichkeit nicht suche, ist sie für meine Arbeit sehr wichtig. Und in den letzten Wochen habe ich aufgrund der jüngsten Flüchtlingswelle deutlich mehr Einladungen zu Podiumsgesprächen und Diskussionen erhalten», freut sich Zerai.
Bei diesen Gesprächen will er aufzeigen, weshalb so viele Menschen fliehen und weshalb sie nach Europa kommen. Dass dabei die politischen und wirtschaftlichen Interessen der westlichen Staaten eine zentrale Rolle spielen, wollen jedoch nicht alle verstehen. «In vielen Ländern werden Stellvertreterkriege geführt. Es geht um die Hegemonieansprüche, um Geopolitik und um Energie.
Diese Kriege werden mit Waffen geführt, die aus Europa und Amerika geliefert werden. Aber es sind nicht die Kriege der lokalen Bevölkerung, es geht nicht um deren Probleme», weiss Zerai. «Wenn wir das Flüchtlingsproblem tatsächlich lösen wollen, müssen wir dafür sorgen, dass wir keine Waffen mehr exportieren und die Kriege beendet werden. Denn die meisten Flüchtlinge verlassen ihre Heimat nicht freiwillig.»
http://www.oltnertagblatt.ch/solothurn/niederamt/400-mal-pro-woche-rufen-fluechtlinge-den-erlinsbacher-pfarrer-an-129585654