mercoledì 5 giugno 2013

Jeder Mensch will ein würdevolles Leben

Interview:
Der eritreische Seelsorger Mussie Zerai zur Lage der Eritreer in der Schweiz
"Jeder Mensch will ein würdevolles Leben"
Von Anna Miller / Kipa

Zürich, 5.6.13 (Kipa) Mussie Zerai, Priester und Seelsorger der Eritreer in der Schweiz, sprach im Hinblick auf die Abstimmung zur Asylgesetzrevision am 9. Juni mit der Presseagentur Kipa über die Lage der Eritreer in der Schweiz, die Religion als Faktor der Integration und über die Dringlichkeit, die Würde des Menschen zu wahren.
Frage: Herr Zerai, der Bund möchte die Möglichkeit, Asylgesuche auf Schweizer Botschaften im Ausland zu stellen, abschaffen. In den vergangenen 20 Jahren haben knapp 2.000 Menschen davon Gebrauch gemacht. Ist diese Änderung nicht vernachlässigbar?
Mussie Zerai: Leben ist nicht in Zahlen zu messen. Auch wenn es bloss eine einzige Person wäre, die auf legalem Weg gerettet werden könnte, lohnt es sich, das Recht auf Asylantrag im Ausland aufrecht zu erhalten. Streicht die Schweiz diese Möglichkeit, wird der einzige legale Weg des Asylantrags versperrt. Die Leute kommen weiterhin, aber illegal, mithilfe von Schleppern.
Frage: Eine weitere Verschärfung des Gesetzes sieht vor, Wehrdienstverweigerung nicht länger als Asylgrund zu akzeptieren. Eritreer in der Schweiz sind zu 90 Prozent Wehrdienstverweigerer. Was bedeutet diese neue Regelung für die Betroffenen?
Zerai: Jetzt sind zu viele Eritreer in der Schweiz, und sie kommen alle wegen des Militärs. Also sagt die Regierung: Streichen wir den Grund Wehrdienstverweigerung. Wenn in zehn Jahren zu viele Syrer kommen, was tun wir? Streichen wir einen weiteren Grund? Die Menschenrechtskonvention sagt: Jeder, der verfolgt wird, hat Recht auf Asyl, egal, weswegen. Der Militärdienst in Eritrea ist kein Wehrdienst, sondern moderne Sklaverei.
Frage: Kritisieren Sie also die Asylgesetzrevision als Ganzes?
Zerai: Die Schweiz hat das Recht, die Zuwanderung zu regeln. Unter der Voraussetzung, dass die Grundrechte gewahrt werden. Die Fluchtgründe sind heute ohnehin vielfältiger als vor 50 Jahren. Man sollte die Palette der Fluchtgründe also erweitern, nicht einschränken. Die Revision soll nicht dazu dienen, die Grenzen zu schliessen. Nur, weil die Flüchtlinge nicht mehr zu uns kommen, heisst das ja nicht, dass sie nicht mehr existieren. Im Gegenteil: Sie sind noch da, und sie leben noch gefährlicher.
Frage: Was wäre also die Lösung?
Zerai: Die Schweiz sollte nicht abhängig vom Personenfluss die Regeln ändern. Stattdessen sollte man seriös evaluieren, ob die Personen, die kommen, alle Kriterien erfüllen, aufgenommen zu werden. Man sollte sich nicht von einer Zuwanderungszahl erschrecken lassen. Die internationale Gemeinschaft sollte sich zudem engagieren, die Situation in den Ursprungsländern zu verbessern. Niemand ist glücklich, sein Land zu verlassen, wenn er nicht muss. Eritrea ist eine Diktatur, das ist das Problem.
Frage: Aber viele Leute in der Schweiz haben nunmal Angst vor kriminellen Ausländern. Was sagen Sie denen?
Zerai: Immigranten sind nicht automatisch Kriminelle. In jeder Gesellschaft gibt es Straffällige, egal, woher sie kommen. Der Staat sollte gemeinsame Räume von Schweizern und Ausländern fördern. Damit die Schweizer die Kultur des Anderen kennenlernen. Die Angst wächst aus dem Unwissen über den anderen.
Frage: Die Eritreer stellen die meisten Asylgesuche in der Schweiz, sind in der Kriminalstatistik aber die Schlusslichter. Warum ist das so?
Zerai: Das Schweizer System hilft sehr, weil es den Asylsuchenden ein Minimum an Lebenshilfe bietet. Das ist in anderen Staaten wie Italien nicht gegeben. Dort schlafen die Asylsuchenden auf der Strasse. Sie werden kriminell, weil sie überleben müssen. In der Schweiz muss niemand kriminell werden, weil er die nötige Unterstützung erhält. Es liegt ausserdem nicht in unserer Kultur, kriminell zu sein. Da hilft sicher auch der gemeinsame christliche Glaube. Gleiche Werte verbinden.
Frage: Die Religion hilft also, sich zu integrieren?
Zerai: Die Religion ist nunmal eine gemeinsame Basis, das erleichtert eine Integration. Was umgekehrt nicht bedeutet, dass nichtchristliche Menschen nicht integriert werden können. Aber die Sache ist komplizierter. Wir haben hier gemeinsame Kirchen, wir kommen in Kontakt mit anderen Christen.
Frage: Wie sehr sind die Eritreer in der Schweiz integriert?
Zerai: Auch hier gibt es Schwierigkeiten bei der Integration. Der Grundsprachkurs ist zwar gegeben, aber die Leute lernen in der Schule nicht das Deutsch, das beim Bäcker gesprochen wird. Also bleibt das Problem der Kommunikation. Auch finden die Leute in der Schweiz kaum Arbeit, weil die Vermittlungsagenturen ein Diplom oder Berufserfahrung verlangen. Aber die Eritreer haben keine Berufserfahrung oder ein Studium, sie waren ja über Jahre im Militär. Es wäre daher wichtig, dass die Schweiz Praxiskurse wie Einführung in den Handwerkerberuf oder in kaufmännische Arbeit anbietet, damit die Leute Berufserfahrung vorweisen können.
Frage: Was erhoffen Sie sich für den 9. Juni?
Zerai: Dass die Öffentlichkeit die Bedeutung der Menschenrechtskonvention begreift. Man soll dieses Asylgesetz nicht immer modifizieren, je nachdem, woher der Menschenstrom gerade kommt. Die Menschen flüchten, weil sie ihr Leben retten wollen. Manche hier denken, die Eritreer kommen in die Schweiz, weil sie sich ein schönes, reiches Leben machen wollen. Dabei wollen sie einfach ein würdevolles Leben – so, wie alle Menschen sich das wünschen.
Separat 1:
Mussie Zerai
Pfarrer Zerai wurde 1975 in Asmara, Eritrea, geboren. Mit 16 Jahren kam er durch ein Asylgesuch nach Italien. 2006 gründet er das Hilfswerk "Habeshia" mit dem Ziel, Migranten und Flüchtlinge bei der Berufsausübung und der Integration zu unterstützen. Seit 2010 ist er geweihter Priester. Er weilt regelmässig in der Schweiz, um Eritreer in der Schweiz seelsorgerisch zu unterstützen. 2012 war Mussie Zerai einer der Kandidaten für den Nansen-Flüchtlingspreis, den das Uno-Hochkommissariat für Flüchtlinge verleiht.
Separat 2:
Abstimmung Asylgesetzrevision

Am 9. Juni kommt die dringliche Revision des Asylgesetzes vor das Schweizer Stimmvolk. Die Revision war Ende September vom Parlament per sofort in Kraft gesetzt worden. Für das Referendum hatten die jungen Grünen zusammen mit anderen linken, kirchlichen und asylrechtlichen Organisationen mehr als 63.000 Unterschriften gesammelt. Sie sehen die humanitäre Tradition der Schweiz von der Revision bedroht. Die Gegner der Verschärfung kritisieren im Kern die Ablehung der Wehrdienstverweigerung als Asylgrund sowie die Auflösung der Möglichkeit, auf Schweizer Botschaften im Ausland Asyl zu beantragen. (kipa/arch/ami/bal)

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