mercoledì 1 febbraio 2012

Der Macher des Herrn

Pater Zerai: Mittler und MahnerEr kommt nie ohne Handy und selten


im Talar. Er betritt den Petersplatz, er

fällt auf unter den Ordensbrüdern und

Vatikan-Pilgern. Er hat ein strahlendes

Lachen, das Handy am Ohr und

an den Füßen Sandalen. Seit drei Jahren

lebt Pater Mussie Zerai, ein Priester

aus Asmara in Eritrea, 34 Jahre alt,

im Vatikanstaat und ist verbunden mit

der Heimat und dem Meer.

Vor bald 20 Jahren kam er als Einwanderer

nach Italien. Priester wollte er

werden, solange er denken kann, sein

Vater bestand darauf, dass er studierte.

In Rom jobbte er als Marktschreier,

Schuhputzer, Zeitungsjunge, er

erforschte das Leben auf der Straße.

Irgendwann bekam er eine Aufenthaltsgenehmigung,

kümmerte sich um

Eritreer und Äthiopier aus der katholischen

Exilgemeinde in Rom und legte

2000 sein Priestergelübde ab.

Vor drei Jahren zog er hinter die Mauern

des Vatikans, ins Äthiopische

Priesterkolleg, in dem sich Geistliche

aus dem Ex-Kaiserreich Abessinien

weiterbilden. Er bekam ein Stipendium,

um seine Doktorarbeit über die

Geschichte der Seelsorge zu beenden.

Zu den Mahlzeiten im Refekto rium

mit 25 Priestern und Nonnen erscheint

er selten. Denn lange vor der

Berufung in den Vatikan findet er seine

Mission – Landsleute retten, die

nicht bequem wie er im Flieger nach

Europa reisen, sondern in morschen

Nussschalen ohne Wasser und Brot.

Pater Zerai ist der Rettungsschwimmer

Afrikas, kein Schleuser; ein Mittler,

ein Mahner. Er springt nicht ins

Wasser, er alarmiert diejenigen, deren

Pflicht es ist, Menschen aus Seenot zu

retten. Seine Handynummer wird gehandelt

wie kostbares Gut an den

Stränden von Zarzis, Djerba und Bengasi.

Sie wird im Radio von Tunesiern

und libyschen Rebellen verlesen und

im Flüchtlingslager von Lampedusa

auf Papier gekritzelt.

Flüchtlinge melden sich bei Pater Zerai,

wenn ihr Kahn leckt oder sie die

Orientierung verloren haben. An den

Satellitennummern auf seinem Display

in Rom erkennt er diese Anrufer

sofort, auch an der Todesangst in ihrer

Stimme. Er sagt, nach dem Ausbruch

der Revolution in Libyen habe

er bis zu 150 Anrufe am Tag bekommen.

Dann macht Zerai das, was er

seit fünf Jahren macht: Er ruft die italienische

Küstenwache an und gibt die

Koordinaten an die Nato-Kommandozentrale

in Neapel durch, die auch die

Libyen-Mission leitet.

Seit den Umstürzen im Maghreb kommen

noch mehr Flüchtlinge nach

Europa, und Europa überlässt sie ihrem

Schicksal auf See. Wie Ende März,

als ein Boot mit 72 Insassen zwei Wochen

vor der libyschen Küste trieb und

nur neun Äthiopier überlebten. Ihr

Kahn drehte im Kreis, sie hatten noch

zwei Tuben Zahnpasta, die sie auf die

Bootsplanken drückten und aufleckten.

Nach drei Tagen warfen sie die

ersten Toten über Bord. Die Überlebenden

sagten, nach dem Anruf bei

Pater Zerai hätten sie ein Nato-Schiff

gesichtet, dann einen Helikopter. Hilfe

war angekündigt, blieb aber aus.

Die Festung Europa, sagt Zerai, schotte

sich ab, sie habe keinen Plan. Er ist

davon überzeugt, dass sich der Zustand

eines Landes daran messen

lässt, wie es Einwanderer behandelt.

Zur Aufklärung des Dramas im Frühjahr

setzte der Straßburger Europarat

erstmals einen Untersuchungsausschuss

ein, auch dank des Kampfs von

Pater Zerai.

Er sagt, der Herr habe ihn beschenkt

mit Talent für das Leben im Diesseits,

er sei praktisch veranlagt, kein Denker,

ein Macher. Ende des Jahres läuft

sein Stipendium aus, er soll in die

Schweiz versetzt werden. Als Diener

im Weinberg des Herrn, als Seelsorger

in Genf, auch dort gibt es eine Gemeinde

von Flüchtlingen aus Eritrea

und Äthiopien. Er wird gehorchen,

die Mauern um den Vatikan wird er

nicht vermissen, seine Mission bleibt.

FIONA  EHLERS
DER SPIEGEL
Italienkorrespondentin

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