Pater Zerai: Mittler und MahnerEr kommt nie ohne Handy und selten
im Talar. Er betritt den Petersplatz, er
fällt auf unter den Ordensbrüdern und
Vatikan-Pilgern. Er hat ein strahlendes
Lachen, das Handy am Ohr und
an den Füßen Sandalen. Seit drei Jahren
lebt Pater Mussie Zerai, ein Priester
aus Asmara in Eritrea, 34 Jahre alt,
im Vatikanstaat und ist verbunden mit
der Heimat und dem Meer.
Vor bald 20 Jahren kam er als Einwanderer
nach Italien. Priester wollte er
werden, solange er denken kann, sein
Vater bestand darauf, dass er studierte.
In Rom jobbte er als Marktschreier,
Schuhputzer, Zeitungsjunge, er
erforschte das Leben auf der Straße.
Irgendwann bekam er eine Aufenthaltsgenehmigung,
kümmerte sich um
Eritreer und Äthiopier aus der katholischen
Exilgemeinde in Rom und legte
2000 sein Priestergelübde ab.
Vor drei Jahren zog er hinter die Mauern
des Vatikans, ins Äthiopische
Priesterkolleg, in dem sich Geistliche
aus dem Ex-Kaiserreich Abessinien
weiterbilden. Er bekam ein Stipendium,
um seine Doktorarbeit über die
Geschichte der Seelsorge zu beenden.
Zu den Mahlzeiten im Refekto rium
mit 25 Priestern und Nonnen erscheint
er selten. Denn lange vor der
Berufung in den Vatikan findet er seine
Mission – Landsleute retten, die
nicht bequem wie er im Flieger nach
Europa reisen, sondern in morschen
Nussschalen ohne Wasser und Brot.
Pater Zerai ist der Rettungsschwimmer
Afrikas, kein Schleuser; ein Mittler,
ein Mahner. Er springt nicht ins
Wasser, er alarmiert diejenigen, deren
Pflicht es ist, Menschen aus Seenot zu
retten. Seine Handynummer wird gehandelt
wie kostbares Gut an den
Stränden von Zarzis, Djerba und Bengasi.
Sie wird im Radio von Tunesiern
und libyschen Rebellen verlesen und
im Flüchtlingslager von Lampedusa
auf Papier gekritzelt.
Flüchtlinge melden sich bei Pater Zerai,
wenn ihr Kahn leckt oder sie die
Orientierung verloren haben. An den
Satellitennummern auf seinem Display
in Rom erkennt er diese Anrufer
sofort, auch an der Todesangst in ihrer
Stimme. Er sagt, nach dem Ausbruch
der Revolution in Libyen habe
er bis zu 150 Anrufe am Tag bekommen.
Dann macht Zerai das, was er
seit fünf Jahren macht: Er ruft die italienische
Küstenwache an und gibt die
Koordinaten an die Nato-Kommandozentrale
in Neapel durch, die auch die
Libyen-Mission leitet.
Seit den Umstürzen im Maghreb kommen
noch mehr Flüchtlinge nach
Europa, und Europa überlässt sie ihrem
Schicksal auf See. Wie Ende März,
als ein Boot mit 72 Insassen zwei Wochen
vor der libyschen Küste trieb und
nur neun Äthiopier überlebten. Ihr
Kahn drehte im Kreis, sie hatten noch
zwei Tuben Zahnpasta, die sie auf die
Bootsplanken drückten und aufleckten.
Nach drei Tagen warfen sie die
ersten Toten über Bord. Die Überlebenden
sagten, nach dem Anruf bei
Pater Zerai hätten sie ein Nato-Schiff
gesichtet, dann einen Helikopter. Hilfe
war angekündigt, blieb aber aus.
Die Festung Europa, sagt Zerai, schotte
sich ab, sie habe keinen Plan. Er ist
davon überzeugt, dass sich der Zustand
eines Landes daran messen
lässt, wie es Einwanderer behandelt.
Zur Aufklärung des Dramas im Frühjahr
setzte der Straßburger Europarat
erstmals einen Untersuchungsausschuss
ein, auch dank des Kampfs von
Pater Zerai.
Er sagt, der Herr habe ihn beschenkt
mit Talent für das Leben im Diesseits,
er sei praktisch veranlagt, kein Denker,
ein Macher. Ende des Jahres läuft
sein Stipendium aus, er soll in die
Schweiz versetzt werden. Als Diener
im Weinberg des Herrn, als Seelsorger
in Genf, auch dort gibt es eine Gemeinde
von Flüchtlingen aus Eritrea
und Äthiopien. Er wird gehorchen,
die Mauern um den Vatikan wird er
nicht vermissen, seine Mission bleibt.
FIONA EHLERS
DER SPIEGEL
Italienkorrespondentin
im Talar. Er betritt den Petersplatz, er
fällt auf unter den Ordensbrüdern und
Vatikan-Pilgern. Er hat ein strahlendes
Lachen, das Handy am Ohr und
an den Füßen Sandalen. Seit drei Jahren
lebt Pater Mussie Zerai, ein Priester
aus Asmara in Eritrea, 34 Jahre alt,
im Vatikanstaat und ist verbunden mit
der Heimat und dem Meer.
Vor bald 20 Jahren kam er als Einwanderer
nach Italien. Priester wollte er
werden, solange er denken kann, sein
Vater bestand darauf, dass er studierte.
In Rom jobbte er als Marktschreier,
Schuhputzer, Zeitungsjunge, er
erforschte das Leben auf der Straße.
Irgendwann bekam er eine Aufenthaltsgenehmigung,
kümmerte sich um
Eritreer und Äthiopier aus der katholischen
Exilgemeinde in Rom und legte
2000 sein Priestergelübde ab.
Vor drei Jahren zog er hinter die Mauern
des Vatikans, ins Äthiopische
Priesterkolleg, in dem sich Geistliche
aus dem Ex-Kaiserreich Abessinien
weiterbilden. Er bekam ein Stipendium,
um seine Doktorarbeit über die
Geschichte der Seelsorge zu beenden.
Zu den Mahlzeiten im Refekto rium
mit 25 Priestern und Nonnen erscheint
er selten. Denn lange vor der
Berufung in den Vatikan findet er seine
Mission – Landsleute retten, die
nicht bequem wie er im Flieger nach
Europa reisen, sondern in morschen
Nussschalen ohne Wasser und Brot.
Pater Zerai ist der Rettungsschwimmer
Afrikas, kein Schleuser; ein Mittler,
ein Mahner. Er springt nicht ins
Wasser, er alarmiert diejenigen, deren
Pflicht es ist, Menschen aus Seenot zu
retten. Seine Handynummer wird gehandelt
wie kostbares Gut an den
Stränden von Zarzis, Djerba und Bengasi.
Sie wird im Radio von Tunesiern
und libyschen Rebellen verlesen und
im Flüchtlingslager von Lampedusa
auf Papier gekritzelt.
Flüchtlinge melden sich bei Pater Zerai,
wenn ihr Kahn leckt oder sie die
Orientierung verloren haben. An den
Satellitennummern auf seinem Display
in Rom erkennt er diese Anrufer
sofort, auch an der Todesangst in ihrer
Stimme. Er sagt, nach dem Ausbruch
der Revolution in Libyen habe
er bis zu 150 Anrufe am Tag bekommen.
Dann macht Zerai das, was er
seit fünf Jahren macht: Er ruft die italienische
Küstenwache an und gibt die
Koordinaten an die Nato-Kommandozentrale
in Neapel durch, die auch die
Libyen-Mission leitet.
Seit den Umstürzen im Maghreb kommen
noch mehr Flüchtlinge nach
Europa, und Europa überlässt sie ihrem
Schicksal auf See. Wie Ende März,
als ein Boot mit 72 Insassen zwei Wochen
vor der libyschen Küste trieb und
nur neun Äthiopier überlebten. Ihr
Kahn drehte im Kreis, sie hatten noch
zwei Tuben Zahnpasta, die sie auf die
Bootsplanken drückten und aufleckten.
Nach drei Tagen warfen sie die
ersten Toten über Bord. Die Überlebenden
sagten, nach dem Anruf bei
Pater Zerai hätten sie ein Nato-Schiff
gesichtet, dann einen Helikopter. Hilfe
war angekündigt, blieb aber aus.
Die Festung Europa, sagt Zerai, schotte
sich ab, sie habe keinen Plan. Er ist
davon überzeugt, dass sich der Zustand
eines Landes daran messen
lässt, wie es Einwanderer behandelt.
Zur Aufklärung des Dramas im Frühjahr
setzte der Straßburger Europarat
erstmals einen Untersuchungsausschuss
ein, auch dank des Kampfs von
Pater Zerai.
Er sagt, der Herr habe ihn beschenkt
mit Talent für das Leben im Diesseits,
er sei praktisch veranlagt, kein Denker,
ein Macher. Ende des Jahres läuft
sein Stipendium aus, er soll in die
Schweiz versetzt werden. Als Diener
im Weinberg des Herrn, als Seelsorger
in Genf, auch dort gibt es eine Gemeinde
von Flüchtlingen aus Eritrea
und Äthiopien. Er wird gehorchen,
die Mauern um den Vatikan wird er
nicht vermissen, seine Mission bleibt.
FIONA EHLERS
DER SPIEGEL
Italienkorrespondentin
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